Die Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen

Editorial

Als man am Nachmittag des 21. Mai 2006 die Stimmen des Schweizer Stimmvolkes ausgezählt hatte, stand es fest: Aus den Urnen war ein für die schweizerischen Schulverhältnisse epochemachendes Resultat gekommen. Mit einer nimmer erwarteten Mehrheit von 86% hatten Bürgerinnen und Bürger dem Bund den verfassungsmässigen Auftrag erteilt, eine minimale einheitliche Regelung unserer Schule in Zusammenarbeit mit den Kantonen zu verwirklichen. Dass die Umsetzung dieses Vorhabens trotz der überdeutlichen Legitimation nicht einfach sein würde, war vorauszusehen. Das wurde dann an den kantonalen Abstimmungen gegen zwei Fremdsprachen in der Primarschule beispielhaft und klar illustriert. Das HarmoS-Konkordat ist der erste wichtige und notwendige Schritt in diese verfassungsmässig vorgezeichnete Richtung.
Nun sind wir aber soweit: Der populistische und nationalistische Geist mancher Eidgenossen lebt wieder in Form von Referenden gegen ebendieses Konkordat auf. Bezeichnend ist, dass dabei nicht etwa die effektiven Schwächen von HarmoS interessieren, z.B. die einseitige Ausrichtung auf sogenannte Leistungsstandards, sondern dessen Stärken: So heisst es z.B., mit HarmoS werde einer Staatserziehung Vorschub geleistet, den Familien die Kinder im frühen Alter weggenommen und die Autorität der Eltern untergraben. Abgesehen davon, dass durchschnittlich bereits jetzt 86% der Kinder zwei Jahre Kindergarten besuchen und in manchen Kantonen dieser Anteil gegen die 100%-Grenze strebt, steht den Kantonen frei, wie sie die zweijährige vorschulische Bildung organisieren sollen. Demagogie ist also an der Tagesordnung, denn mit HarmoS wird diesbezüglich nur ein Recht statuiert, das sich in der Praxis der letzten Jahrzehnte etabliert hat.
Ähnlich wird auch gegen die Einführung des Hochdeutschen im Kindergarten operiert. Im Kanton Zürich wurde eine Initiative angedroht, falls der Anteil des Hochdeutschen nicht klar unter 50% liegen sollte. Als ob man Sprachen und generell Kultur nach % einteilen könnte! Dafür wird empfohlen, dem Problem mit der Definition des Lernziels ?Hochdeutsch" im Kindergarten beizukommen, was in etwa der Austreibung des Teufels mit dem Belzebub gleichkommen dürfte. Denn, so scheint uns, gerade die sich daraus ergebende Lernzieltreiberei wäre im Kindergarten die Negation einer von Druck einigermassen freien Erziehung. Wäre es nicht sinnvoller, sich endlich darauf einzulassen, dass einerseits Hochdeutsch Bestandteil unserer Kultur ist, dass die Diglossie im ganzen deutsprachigen Raum existiert und somit für die Mundart keine Gefahr darstellt?

Gianni Ghisla