Die Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen

Editorial

Welche Rolle hat die Schule? Soll sie soziale Ungleichheiten bekämpfen, die SchülerInnen auf die Arbeitswelt vorbereiten, das Kind und zu einem späteren Zeitpunkt den Jugendlichen zu einem verantwortungsbewussten Bürger erziehen? Auf diese Frage versucht die vorliegende Stellungnahme Antwort zu geben. Sobald man sich genauer damit befasst, wird klar, dass wir - wofür auch immer wir uns schliesslich entscheiden - weit davon entfernt sind, die Schule als den Ort zu sehen, an dem man einfach nur Lesen, Schreiben und Rechnen lernt. Vielmehr sind auch Lesen, Schreiben und Rechnen – wie es gerade wieder die neu ausgewerteten Einzelergebnisse der PISA-Studien in Erinnerung rufen – an sich schon höchst komplexe Fertigkeiten. Da diese Kompetenzen in der heutigen Welt verschiedene Sprachen und Kulturen ins Spiel bringen, können sie ihrerseits zu bedeutenden sozialen und kulturellen Ungleichheiten führen können…
Im Wunsch, die SchülerInnen schon auf der Vorschule auf den Geschmack der Mehrsprachigkeit zu bringen, spiegelt sich eine gesellschaftliche Wirklichkeit wieder, nämlich die europäischen Vielsprachigkeit. Es ist deshalb nur konsequent, sich auf funktionale und pragmatische Bedürfnisse zu konzentrieren, ohne gleichzeitig auf kulturelle, wenn nicht sogar „ideologische“ Ziele im Sinne einer besseren Verständigung zwischen den Völkern zu verzichten.
Der zukünftige Erwachsene muss befähigt werden, einen Arbeitsplatz zu finden, sei es auf dem europäischen Markt oder in einem multinationalen Unternehmen, wo sich dann die Sprachenfrage auf fast allen Ebenen der Hierarchie stellt. Diese Zielsetzung darf natürlich nicht ausgeblendet werden. Trotzdem bleibt die Frage, welches Recht man der Arbeitswelt zugesteht, sich in die Lehrpläne unserer Schulen einzumischen.
Auf der anderen Seite muss der Sprachunterricht - wie andere Fächer auch - seinen Teil beitragen und Angebote machen angesichts der zunehmenden Rufe nach einer „Erziehung zu...“, die die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und den Erwerb weiterer sozialer, genauer: interkultureller, Kompetenzen erstrebt. Didaktische Ansätze wie ELBE (Eveil aux langues- Language awareness- BEgegnung mit Sprachen) und Interkomprehension zwischen verwandten Sprachen ermöglichen es den Lernenden zum Beispiel, sich der Sprachenvielfalt und der Zugehörigkeit zu einer oder verschiedenen Sprachgemeinschaften über die Landesgrenzen hinaus bewusst zu werden.
Der Sprachunterricht und die Förderung der Mehrsprachigkeit in der Schule entsprechen somit ganz realen, jedoch auch verschiedenartigen Bedürfnissen. Ihre Erfüllung kann am besten durch einen Fremdsprachenunterricht gewährleistet werden, dessen Methoden „die Unabhängigkeit des Denkens, des Urteilens und Handelns in sozialer Verantwortung stärken.“ (GER). (sr)