Die Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen

Editorial

Einer der letzten Meilensteine unseres Schulsystems ist sicher die gymnasiale Maturität. In einem Land, in dem die Universitäten auf einige Kantone konzentriert sind, ist das Gymnasium immer noch die Prestigeschule, über deren Ziele ohne allzu grosse Schwierigkeiten ein Konsens gefunden werden kann. Und dennoch! In Wirklichkeit unterliegt unser Schulsystem tiefgreifenden Veränderungen, die an der Motivation der Lernenden, der Qualität des Unterrichts und dem Abschlussniveau zweifeln lassen, das von Zeit zu Zeit von den ETH’s oder den Universitäten gemessen wird. Für den Bereich der Sprachen, kann man eine durchaus positive Entwicklung feststellen, zumindest in den offiziellen Texten. Im Bericht der EDK über die „Koordination des Fremdsprachenunterrichts auf der Sekundarstufe II“ (2007) wird erklärt, dass die Sprachen mehr denn „ein Schlüssel zur Teilnahme an gesellschaftlichen Prozessen und Voraussetzung für die Mobilität“ sind; Sprachkompetenz sei „in der Schweiz, wie in der Europäischen Union, ein vordringliches Ziel“. Zur Erlangung dieses Ziels dienten insbesondere das Sprachenportfolio und die Koordination der sprachlichen Niveaus zu Beginn und am Ende der Schule. Angesichts solcher schönen Verlautbarungen fragt man sich, wie es mit der konkreten Umsetzung der angestrebten Ziele aussieht, vor allem auf dem Gebiet der Sprachen. Für den Einsatz des Gesamteuropäischen Referenzrahmens (GER) oder des Sprachenportfolios bleibt angesichts der Widerstände in den weiterführenden Schulen nur wenig Spielraum. Viele Lehrkräfte meinen, dass ihr Unterricht im Gymnasium nicht so sehr auf den Erwerb der Sprache als Kommunikationsmittel ausgerichtet sein sollte, sondern auf literarische Bildung. GER oder Portfolio werden als Instrumente gesehen, die mit Kultur nichts zu tun haben, obwohl diese den poetischen und ästhetischen Gebrauch der Sprache mit einschliessen. Indessen definiert die EDK auf der Grundlage des GER für alle Sprachen dieselben Ziele: Fertigkeiten auf der Stufe B2 (C1 für die rezeptiven Kompetenzen) bei der Maturität, durch die ebendieses Niveau attestiert wird. Betrachtet man nun die Situation im Tessin, hat man den Eindruck, dass die Messung des erreichten Niveaus nicht immer zuverlässig ist. Einerseits werden die Maturitätsexamina schulintern ausgearbeitet und durchgeführt und sind in Ablauf und Methode bekannt (was zu einer gezielten Vorbereitung der Kandidaten ausgenutzt werden kann). Andererseits liegt der Akzent auf literarischen und kulturellen Themen, so dass mehr der Stoff eines Faches als Kompetenzen und Autonomie im Bereich der Sprache und deren Kultur überprüft werden.
Wie lassen sich diese Divergenzen überwinden? Die Alternative sind nun nicht internationale Prüfungen im Gymnasium. Dagegen wäre es interessant, in bestimmten Abständen Kompetenzmessungen durchzuführen, ähnlich bereits bestehenden Tests in der Sekundarstufe I. So erhielten die Lehrkräfte wie die Verantwortlichen der Schulverwaltung Rückmeldung über das Niveau, das in den Klassen tatsächlich erreicht wurde.  (gm)