Die Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen

Editorial

Im Unterricht muss ich nun zum ersten Mal wirklich Deutsch sprechen – und zwar Alltagsdeutsch! In der Schule und im Studium habe ich zwar Phrasen gelernt, um Referate zu halten, aber einen Alltagsdialog führen, das lerne ich erst jetzt, weil ich im Unterricht die Texte des Lehrwerks erklären muss. Dieses Zitat stammt von einem Deutschlehrer in Ausbildung in Genf, für den die aktive Verwendung der Zielsprache im Unterricht zur Sprachlehr- und -lernerfahrung wird.
Dass ein Fremdsprachenlehrer zu Beginn seiner Berufstätigkeit feststellt, wie wenig sein akademisches Studium mit der beruflichen Praxis zu tun hat, wäre nun nicht gerade ungewöhnlich. Wie kommt es aber, dass eine langjährige Ausbildung nicht zu adäquater Sprachkompetenz führt? Ist die sprachliche Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte vielleicht ein blinder Fleck der intensiven Diskussion um die Fremdsprachenlehrerausbildung?
Der 2004 erschienene Endbericht an die Europäische Kommission mit dem Titel „Europäische Profil für die Aus- und Weiterbildung von Sprachlehrkräften: ein Referenzrahmen“ scheint diesen blinden Fleck zu bestätigen: Es ist viel von Ausbildungsstrukturen, methodischem Wissen und Verstehen, ja sogar von den Werten der Fremdsprachenlehrenden die Rede – allein konkrete Sprachkompetenzprofile werden nicht einmal erwähnt. Im Bericht „Koordination des Fremdsprachenunterrichts auf der Sekundarstufe II“ zuhanden der EDK (22.8.2007) findet sich unter Massnahme 3 wenigstens ein konkreter Hinweis: „ Am Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen ausgerichtete Sprachprofile ermöglichen eine gezielte Sprachausbildung der Lehrpersonen.“
Was aber bedeutet gezielte Sprachausbildung? Wenn diese Ausbildung nicht nur auf ein vage beschriebenes C1 Niveau abzielt, sondern auf ein konkret beschriebenes Spektrum kommunikativer Handlungsmöglichkeiten auf diesem Niveau, zu dem auch die spezifische Verwendung der Zielsprache im Unterricht gehört, dann bedeutet dies,

  • dass studienbegleitende Sprachkurse nicht in erster Linie zum philologischen Studium, sondern zum handlungsorientierten kommunikativen Fremdsprachenunterricht in verschiedenen Schulformen befähigen sollen
  • dass bereits im Fachstudium auf Bachelor- und Masterebene die Erfahrung des Sprachenlernens und die Reflexion über Sprachkompetenzprofile theoretisch vertieft wird
  • dass der stets als Allheilmittel empfohlene Auslandsaufenthalt als didaktisch gut begründetes Lernprojekt zu realisieren ist.

Babylonia hat die erste Nummer dieses Jahres der Verwendung der Zielsprache im Unterricht gewidmet – ist es nicht an der Zeit darüber nachzudenken, inwiefern die Sprachlehrkräfte im Laufe ihres Studiums tatsächlich eine Sprachausbildung erhalten, die auf differenzierte, auf den Lehrberuf ausgerichtete Kompetenzprofile abzielt? (it)