Die Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen

Editorial

Chiara Simoneschi-Cortesi, Präsidentin der Volkskammer 2009, ist bei ihrer Sprachwahl sehr deutlich: In einem Interview für Babylonia (S. 72) fragt sie, ob die Idee einer Schweiz als mehrsprachiger und multikultureller Staat heute noch überlebensfähig sei und ob sich diese Idee gegen den Druck eines Zeitgeistes noch wehren könne, der von einseitigen Interessen und von der ökonomischen Kurzsichtigkeit des Marktes dominiert wird. Der unmittelbare Grund dieser Besorgnis liegt in der politischen Vorgehensweise, die der Bundesrat bei der Inkraftsetzung des neuen Sprachengesetzes anfangs Dezember 2009 an den Tag gelegt hat (vgl. die Information in dieser Nummer). Dieses Gesetz war ein seit dem Verfassungsmandat von 1996 fälliger legislativer Akt und hätte einen qualitativen Sprung in der noch vermissten Sprachpolitik bedeuten können. Aber ein zaghafter Bundesrat, einmal mehr den Vorwand der Mehrkosten vorschiebend, hat die Übung de facto zum Schwank werden lassen: Das Gesetz wurde zahnlos geboren, ohne die Vollzugsmassnahmen in Form von Verordnungen, u.a. zur Durchsetzung der Mehrsprachigkeit in der Bundesverwaltung. Hinter dem finanziellen Damoklesschwert erscheinen aber nicht nur der fehlende politische Wille, sondern generell auch die Zeichen unserer Epoche: Eine Kultur der zunehmenden Intoleranz – die Minarettenabstimmung war nur eines der Symptome hiezu –, in der sich die Mehrheiten immer mehr über die Minderheiten hinwegsetzen und sich die Werte der Mehrsprachigkeit und des Pluralismus zunehmend verflüchtigen.
Nun, was bleibt uns? Wenigstens noch ein bisschen Zeit und die Hoffnung. Zwar wird auf dem sprachpolitischen Parkett kaum eine neue Marschrichtung eingeschlagen werden, auch weil die erwähnten Probleme weit über die helvetischen Grenzen hinaus prägend sind, aber zumindest sollte eine Korrektur möglich sein. Wenn die auf Mitte 2010 angekündigten Verordnungen den Geist des Gesetzes und der Verfassung ernst nehmen, dann können doch noch Freiräume geschaffen werden, um weiterhin die Werte einer toleranten und offenen Gesellschaft kultivieren zu können.
Auch unser Effort geht einmal mehr in eine solche Richtung. Die vorliegende Babylonia konzentriert sich auf die Lancierung eines Partenariats mit den Hochschulen, die die neue Generation der Sprachlehrkräfte ausbilden. Denn gerade im jugendlichen Elan können die ideelle Kraft und die Energie neu gefunden werden, um dem Abgleiten in eine immer selbstreferentieller, akritischer werdende und den Auflagen des Marktes ausgelieferte Gesellschaft entkommen zu können. Wir hoffen, dass die Babyloniapublikationen in der Ausbildung verwendet und zu deren technisch-didaktischen Qualität beitragen kann. Zugleich soll es aber auch den kulturellen Unterrichtshorizont mit grundlegenden Werten beleben können: der Respekt für die Sprache und die Lebensweise des Anderen sowie für die Freiheit und den Pluralismus des Denkens, jene Werte, die keine sinnvolle Bildung vermissen lassen dürfte. (gg)