Die Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen

Editorial

Es ist Diktaturen vorbehalten, Sprachen und deren Verwendung per Dekret verordnen zu können. Demokratien und offene Gesellschaften sehen sich mit langwierigen Prozessen der Sprachentwicklung konfrontiert, welche nicht nur von historischen und kulturellen Einflüssen, sondern zunehmend von den Marktparadigmen bestimmt sind. Dies gilt auch für die Mehrsprachigkeit hierzulande, eine Kernkomponente der Identität der Schweiz als Willensnation. Ein junger Nationalrat aus Genf hat das kürzlich auch zu spüren bekommen. In etwas gar naiver Weise, hat er sich über die Unmöglichkeit gewundert, in Bern die auf der Schulbank mühsam erlernte deutsche Schriftsprache verwenden zu können. Der Dialekt sei eben erbarmungslos allgegenwärtig. Er hätte dies eigentlich wissen müssen, gab aber trotzdem seinem Unmut in der NZZ freien Lauf, was eine öffentliche Auseinandersetzung zur Rolle des Dialekts anregte. Eine willkommene Diskussion, die leider aber einmal mehr vorwiegend in der welschen Schweiz stattfindet, während die Gemüter diesseits der Sarine solche Aufregung scheuen und sich in ihrem behüteten Mehrheitsdasein durchaus wohl fühlen. Dabei hat der Genfer Jungpolitiker den Nagel auf den Kopf getroffen. Frau und Herr Deutschschweizer können im mündlichen Ausdruck kaum mehr auf die Schriftsprache umstellen und, was den „fremdsprachigen Gästen“ auffällt, es liegt auch kaum in ihrer Attitüde. Der Siegeszug des Dialekts dauert nun seit einiger Zeit an und wurde in den letzten Jahren u.a. von den Massenmedien mittels aktiver Verflachung kultureller Werte auf das „Hier und Jetzt“ (Stichwort: audience) genauso begünstigt wie von einer populistisch und nationalistisch gefärbten Politik gewisser Parteien. Hinzu kommt, dass in unserem Lande kaum je eine Sprachpolitik existierte, die in irgend einer Art wirklich hätte Gegensteuer geben können. Nun hat sich aber etwas geändert, und dies hätte auch unser Politiker aus Genf wahrnehmen sollen. Im letzten Dezember ist ein Sprachengesetz in Kraft getreten (Vgl. Babylonia 3/09), das die Legitimation für eine solche Politik liefert: Nicht dass der Bund Mehrsprachigkeit verordnet, aber dass er sich druckvoll in den Prozess zu deren Förderung einbringt, ist gefordert. Und dieser Druck zeigt auch Wirkung, etwa in den Kantonen, wo nach jahrelangem Überhandnehmen des Dialekts, in den Volksschulen nun vielerorts wieder die Verwendung der Schriftsprache als Unterrichtssprache vorgeschrieben wurde. Es wäre allerdings wünschenswert, dass man sich auf dem politischen Parkett und in der Deutschschweizer Öffentlichkeit etwas mehr um die Umsetzung dieses Gesetzes, bzw. um das Schicksal der Mehrsprachigkeit kümmern würde, und es nicht beim Meckern des einen oder anderen Politikers und den Vorstössen der Minderheiten (vgl. die Informationen in dieser Nummer) bewenden liesse. Davon könnten auch der Sprachunterricht und die integrierte Sprachendidaktik, das Hauptthema dieser Nummer, profitieren. (gg)