Editorial
Politik, Nachhaltigkeit, Selbstmanagement, Programmieren, Ernährung, Glück: Gemeinsam ist diesen (aus einer längeren Liste zufällig herausgepflückten) Begriffen, dass sie alle laut Meinung unterschiedlicher Kreise das Potenzial hätten, zu neuen Schulfächern zu werden. Der kunterbunten Vorschläge sind so viele, dass man annehmen könnte, unsere Curricula litten unter einem akuten Mangel an Unterrichtsinhalten, die dringend behandelt werden müssten, damit unser Nachwuchs dereinst fähig sei, das eigene Leben zu meistern und die Geschicke des Landes mitzugestalten. Gleichzeitig schwelen alte und neue Konflikte um die etablierten Fächer vor sich hin und flackern ab und zu medial auf. Braucht es mehr Mathematik, Naturwissenschaften, Hauswirtschaft, Musik, Sport – bzw. andere Herangehensweisen, mit denen sich die relevanten Inhalte effektiver vermitteln liessen? Und mittendrin immer wieder: die Sprachen. Kommt die Zürcher Praxis, leistungsschwächere Kinder oder Jugendliche vom Fach Französisch zu dispensieren, damit sie in Mathematik und Deutsch intensiver gefördert werden könnnen, einer Rückstufung der zweiten Landessprache gleich oder handelt es sich lediglich um eine Fördermassnahme, wie sie auch in anderen Landesteilen selbstverständlich ist? Wie steht es um die Zukunft des Italienischen als Gymnasialfach? Erweist sich frühes Englischlernen langfristig wirklich als Türöffner zu anderen Sprachen oder bremst es zumindest bei manchen Schülerinnen und Schülern die Motivation zu weiterem Sprachenlernen? Hinter diesen auf Lehrpläne und Stundentafeln fokussierten Sprachdebatten scheint die Frage nach der Verständigung zwischen den Sprachregionen und der Zukunft der Schweiz als mehrsprachiges Land auf, der kürzlich in einer Radiosendung auf DRS 1 wieder einmal nachgegangen wurde. Etwas schade nur, dass, wer die hörenswerte Gesprächsrunde mitverfolgen wollte, zwingend des Schweizerdeutschen mächtig sein musste!
Wie ein roter Faden zog sich das Motiv der Immersion durch das betreffende „Doppelpunkt-Forum“: das Eintauchen in eine andere Sprache und Kultur als Schlüssel zur Erweiterung des eigenen Horizonts und der eigenen Identität. Während Sprachaufenthalte und Austauschprogramme zweifellos eine besondere Bereicherung für die Lernenden darstellen, braucht es für den gewöhnlichen Schulalltag unter anderem Lehrmittel, mit denen sich ein vergleichbares Ziel anstreben lässt: Sprachenlernen als ganzheitliche Erfahrung, die über das Einüben von Wortschatz und Grammatik, aber auch über den von bedeutsamen Inhalten losgelösten Erwerb funktionaler Sprachkompetenzen hinausgeht. Was als Bekenntnis auf Papier selten Einspruch provoziert, ist in der detaillierten Ausgestaltung und praktischen Umsetzung durchaus anspruchsvoll und häufig kontrovers. Was sollen und können Lehrmittel als Träger neuer didaktischer Konzepte überhaupt leisten? Mit dieser und verwandten Fragen beschäftigt sich das vorliegende Heft.
KS