Die Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen

Editorial

Bei Bildungsreformen – aber nicht nur bei diesen – sind Lehrwerke wichtige Instrumente auf dem Weg zu didaktischen Neuerungen. Das herkömmliche, von einigen begeisterten Sprachlehrern entwickelte Lehrbuch mitsamt Arbeits- und Lehrerhandbuch gibt es kaum mehr. Stattdessen finden sich integrierte multimediale Lehrmittel auf dem Markt, geschaffen von einem Autorenteam mit Spezia­listen für die diversen Bereiche und Zusatzmaterialen (DVD, unterstützende Webseite, Lernplattformen usw.). Diese Fülle an Stoff erlaubt es einerseits, den Unterricht interessanter, abwechslungsreicher und authentischer zu gestalten, andererseits sind dazu ein grosser Aufwand und logistische oder organisatorische Fähigkeiten der Lehrpersonen nötig.
Inzwischen gibt es „less is more“ Strömungen: Lehrpersonen, die bezweifeln, ob die neuen multimedialen „Reizlehrmittel“ tatsächlich zu einem besseren Erwerb einer Fremdsprache führen. Was ist der wirkliche Mehrwert der digitalen Wandtafel? Wird die Schülerin, die ein unbekanntes Wort auf ihrem I-phone nachschlägt, sich das Wort länger merken, als wenn sie es in einem traditionellen Wörterbuch sucht? Lernt der Student, der auf seinem Tablet relevante Textteile markiert, diese genau so tief zu verarbeiten, wie wenn er sich beim Lesen Notizen macht und diese später ordnet und ausformuliert? Entwickelt man mit Youtube Videos besseres Hörverstehen als mit Dialogen auf einer altmodischen CD?
Sicher sollte die Lehrperson über eine reiche Auswahl von Ressourcen verfügen, diese aber kritisch hinterfragen und unterscheiden können, welche Aktivitäten wirklich zu einem nachhaltigeren Fremdsprachenerwerb beitragen.
In diesem Heft zeigen wir, wie Lehrpersonen versuchen, im Fremdsprachenunterricht Schülerinnen und Schülern mit speziellen Bedürfnissen zu helfen. Sie brauchen dazu ein Arsenal an didaktischem Material und oft auch technische Hilfsmittel, um die Lernenden gemäss ihren Möglichkeiten zu fördern. In dem Interview mit den Tessiner Lehrpersonen wird deutlich, wie das Lehrwerk und die von den Autoren vorgesehene Progression häufig weder den Bedürfnissen noch den Erwartungen der Lernenden entsprechen. Es obliegt dann den Lehrpersonen, immer wieder neue Wege zu finden, um sie zu motivieren und den Unterricht lernergerecht zu gestalten. Dies ist nur ein weiteres Beispiel dafür, dass das Lehrwerk nicht den Unterrichtsverlauf diktieren, sondern bestenfalls Orientierungshilfe sein kann. Weit mehr kommt es auf die sorgfältig geplanten Lernschritte an, die sich an den erreichbaren Zielen der Schülerinnen und Schüler ausrichten. Dass dabei moderne, auch digitale Hilfsmittel, verwendet werden, versteht sich von selbst. Aber gerade die intensivere Beschäftigung mit Lernenden, die einer speziellen Förderung bedürfen, hat gezeigt, dass der menschliche Faktor am wichtigsten bleibt: Ohne eine genaue Kenntnis der Lernenden und eine gute Beziehung zu ihnen läuft gar nichts. (GS/HP)