Die Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen

Editorial

"Tu peux me donner le camion rouge?"
"I muess zersch dr chiis abladä."*


In den Klassen der Filière Bilingue (FiBi) im zweisprachigen Biel werden Kindergartenkinder je hälftig auf Französisch bzw. auf Deutsch unterrichtet. Laut Aussage der LeiterInnen, die ihr innovatives, mit dem Europäischen Sprachensiegel ausgezeichnetes Projekt und dessen Entwicklung an der Apeps-Tagung Ende 2013 vorstellen, verständigen sich die Kinder erfolgreich mit ihren anderssprachigen SpielkameradInnen und erwerben die dafür notwendigen rezeptiven Kompetenzen. Das eine Kind fragt auf Französisch, das andere antwortet ihm auf Deutsch, also ohne die Zweitsprache produktiv zu verwenden: Die Kinder haben das entscheidende Ziel erreicht – das gegenseitige Verständnis ist gewährleistet, die Kommunikation gelingt; mittels verschiedener Strategien wird das geschäftige Tun auf der Baustelle geregelt.
Das erfolgreiche Einsetzen der rezeptiven Fähigkeiten wäre als durchaus positiv zu bewerten, wäre da nicht der Druck und die Ungeduld verschiedener Akteure – Eltern, Lehrpersonen, Schulbehörden –, welche einerseits darauf hoffen, dass in der jeweils anderen Sprache auch gesprochen wird, und sich andererseits fragen, weshalb denn einige Kinder kaum produzieren. Rezeption genügt ihnen nicht. Kaum verwunderlich ist, dass bei einem Projekt, wo eben das gegenseitige Verstehen im Sinne von „Jedes Kind spricht seine Sprache“ gilt, genau dieses Ziel erreicht wird und das Bedürfnis zur Produktion in der jeweils anderen Sprache kaum geweckt wird.
Wie geht es weiter, wenn die Kinder, nachdem sie vier Jahre in der FiBi verbracht haben, in einen einsprachigen Klassenzug – die eine oder die andere Sprachabteilung wird von ihren Eltern gewählt – übertreten, in dem andere, monolingualere Regeln herrschen? Sie werden ihre Lehrperson in der Zweitsprache zwar verstehen, sich jedoch darin kaum äussern. Wir sind gespannt.
Fürs Projekt und alle Involvierten wäre es vorteilhaft, den Anspruch auf Produktion fürs Erste zurückzustellen und die Rezeption als solche zu verstehen und als das zu schätzen, was sie ist. Rezeption ist immerhin Verstehen. Und das ist nicht wenig, denn Verstehen ist auch eine Grundlage für die Interaktion.
Die vorliegende Ausgabe lädt Sie dazu ein, einen kritischen Blick in die Vielfalt der brave new media world zu werfen und die Möglichkeiten und Grenzen der neueren Informations-, Kommunikations- und Spieltechnologien im Sprachenunterricht zu erkunden. Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der medial breiten Lektüre. (MZ)

*Ich muss zuerst den Kies abladen.

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