Die Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen

Editorial

Austausch in Zeiten der Mehrsprachigkeit


In gut einer Stunde erreicht eine Schaffhauser Schulklasse die deutsch-französische Sprachgrenze oder entdeckt rätoromanisches Sprachgebiet, und schon dieses Jahr verkürzt sich die Reisezeit ins Tessin um eine halbe Stunde: Die viersprachige und kompakte Schweiz bietet optimale Bedingungen, um zumindest für kurze Zeit eine Sprache, die im Schulzimmer gerade noch Fremdsprache war als lebendige Landessprache in der jeweiligen Sprachregion zu erleben.
Diesen Vorzug hat die Politik längst erkannt und die Rahmenbedingungen verbessert, um den binnenschweizerischen Austausch von Schülerinnen und Schülern wie auch von Lehrpersonen zu fördern – über das Bundesgesetz über die Landessprachen, die Empfehlungen der EDK und der Auftrag der Stiftung ch hat Babylonia bereits berichtet.
Weniger bekannt dürfte hingegen die Botschaft zur Förderung der Kultur in den Jahren 2016-2020 sein, welche zwei Schwerpunkte setzt: Erstens sollen „möglichst viele Jugendliche einmal in ihrer schulischen Laufbahn an einem Austauschprojekt teilnehmen“ (S. 614) und zweitens sollen „Zusatzmittel in der Höhe von 800 000 Franken pro Jahr zugunsten des Italienischunterrichts ausserhalb der italienischsprachigen Schweiz (...) unterstützen“ (S. 613). Wenn konkrete politische Massnahmen dieser Art umgesetzt werden, fördern sie einen Unterricht, der Kontakte zwischen den Sprachgemeinschaften in den schulischen Alltag bringt, und haben in der Schweiz eine lange Tradition.
Dies ist zu begrüssen, aber eines wird dabei leicht übersehen. Der Kontakt mit Sprachen und Kulturen findet im Schulalltag auch noch auf andere Weise statt. Viele Schülerinnen und Schüler in der Schweiz wachsen mit einer anderen Sprache als der jeweiligen Landessprache auf, andere suchen in diesem Land Schutz und eine neue Heimat. Diese Lernenden befinden sich sozusagen vor Ort in einer dem Austausch nicht unähnlichen Situation. Für sie ist die Schulsprache Deutsch, Französisch oder Italienisch schon eine neue, fremde Sprache, die sie in der Schule und in der Umgebung lernen, in der sie gesprochen wird. In der Sprachendidaktik spricht man hier von Zweitspracherwerb. Die vorliegende Ausgabe von Babylonia wirft einen Einblick auf diese Situation in den drei grossen Sprachregionen der Schweiz und stellt erprobte und innovative Projekte vor.
Wir wünschen Ihnen eine inspirierende Lektür!

Die Babylonia-Redaktion