Die Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen

Editorial

Der Zufall wollte es, dass sich das Acronym PISA, das für “Programme for International Student Assessment” steht, das OCDE-Programm zur internationalen Beurteilung der Leistungsfähigkeit von fünzehnjährigen Jugendlichen, mit dem Namen der Stadt mit dem symbolträchtigen schiefen Turm deckt. So ist PISA zur Metapher für die Schieflage der Schule jener Länder geworden, die sich nicht in den vorderen Rängen des internationalen Vergleichs befinden. Und die Schweiz gehört dazu. Zwar gelang dem hier zu Lande immer noch hochgelobten Schulsystem mit guten Resultaten in der Mathematik die Ehrenrettung, aber in der Lesefähigkeit und in den Naturwissenschaften mussten wir unten durch. Uns interessieren vor allem die schwachen Resultate im Lesen. Einer von fünf Jugendlichen kann vor Beginn der beruflichen Laufbahn keinen einfachen Text korrekt verstehen und interpretieren. Und 7% haben praktisch keinen Zugang zu schriftlichen Texten. Dies sind für die Schweiz zwar keine neuen Erkenntnisse, aber sicher Grund genug für die aufkommende Besorgnis. Auch unser Interesse darf nicht fehlen und so beschäftigen wir uns mit der Problematik, v.a. aus zwei Gründen: Zum einen hängen schwache Leseleistungen mit der Beherrschung der Mutter- bzw. Unterrichtssprache zusammen. Und weiter: Leseleistungen sind direkt proportional zur Aufenthaltsdauer von Anderssprachigen in der jeweiligen Sprachregion. Dies bedeutet, dass Immigranten deutlich benachteiligt werden. Wir müssen deshalb über die Rolle der Unterrichtssprache (Muttersprache) nachdenken und insbesondere die Beziehung zwischen dieser und den L2 neu angehen. Mit diesem Thema setzen sich der Beitrag von Peter Sieber und der Kommentar von Gianni Ghisla auseinander.
Der zweite Grund hängt mit den “Strategien” zusammen. PISA hat gezeigt, wie die Fähigkeit, beim Lernen und bei der Lösung von Problemen Strategien anzuwenden, zum deutlichen Vorteil gereicht. Der Umstand, dass PISA nicht einfach Wissen testet, sondern sich auf komplexe Kompetenzen konzentriert, verstärkt die Bedeutung von Strategien. So überrascht es nicht, dass jene Jugendlichen die besten Resultate erreichen, die auch fähig sind, autonom Strategien verwenden zu können. Babylonia thematisiert so ein aktuelles und didaktisch zentrales Thema. Wir führen eine bereits 1994 mit einer Reihe von drei thematischen Nummern (2/3/4-1994) begonnene Diskussion fort, in der Hoffnung, dass die Lehrkräfte das didaktische Rüstzeug zur Vermittlung von Lernstrategien immer mehr ins eigene Lehrrepertoire aufnehmen. Der vornehmlich fächerübergreifende Charakter von Strategien sollte auch eine Brückenfunktion für die einzelnen Fächer haben und für die Lehrkräfte einen zusätzlichen Grund zur Zusammenarbeit darstellen. Gerade zwischen den Sprachen tut dies Not, wo ein Dialog zwischen L1 und L2 nicht mehr auf sich warten lassen sollte. Damit könnte vielleicht ein effektiver Beitrag zur Verhinderung noch grösserer “Schieflage” geleistet werden.

Die Redaktion