Die Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen

Editorial

Die Welt wird in diesen Tagen von politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit heimgesucht. Ein weiterer Kriegsherd droht im Nahen Osten auszubrechen und viele Menschen, auch jene, die in unlängst noch sicher geglaubten Wirtschaftszweigen wie dem Banken- oder dem Technologiesektor tätig sind, müssen um ihren Arbeitsplatz bangen.
LehrerInnen werden diese Art von Unsicherheit wohl kaum direkt erfahren. Viele von uns arbeiten nämlich im Staatsdienst, wo zwar Sorge um finanzielle Engpässe besteht, aber Arbeitslosigkeit kaum in Aussicht gestellt wird.
Es sind vorwiegend andere Unsicherheiten, die die Lehrkräfte beschäftigen. U.a. jene über die sich immer ändernden Auffassungen von Fremdsprachenlernen und von -unterricht. Eine fünfzigjährige Lehrkrafthat die Sprachen wahrscheinlich selber mit Grammatik- und Übersetzungsübungen gelernt. Wir wissen alle, wie wichtig diese eigenen frühen Lernerfahrungen für unsere Vorstellungen über Lernen und Unterricht sind. So hat unsere Lehrkraft wahrscheinlich ihre Karriere mit einem audiolingualen Lehrwerk angefangen, wovon sich Überreste immer noch in vielen Klassenzimmern in Form von Drillübungen finden. In den Siebzigern und Achtzigern konfrontierte sie sich dann mit kommunikativen Ansätzen, während sie in den Neunzigern das Interesse auf Lernstrategien und kulturelle Aspekte zu lenken hatte.
Viele KollegInnen sind sehr skeptisch geworden, und prangern den Modestatus von Sprachlerntheorien, die den Nachweis ihres praktischen Werts schuldig bleiben, an. Nur wenige teilen die Überzeugung, dass die Forschung dem Fremdsprachenunterricht viel nutzen könne. So ist leider festzustellen, dass die Kluft zwischen Theorie und Praxis, zwischen denjenigen, die sich mit der Sprachlernforschung befassen und den Lehrenden in der Schule in den letzten Jahren kaum kleiner geworden ist. Wir nehmen deshalb das Thema der Sprachlerntheorien in einer besonderen Perspektive wieder auf: Neben dem Versuch, aktuelle Tendenzen in Theorie und Forschung verständlich darzulegen, haben wir Leute aus der Praxis gebeten, ihre Meinungen darüber kundzutun.
Die Redaktion freut sich, Beiträge von internationalen Wissenschaftlern, die wichtige Entwicklungen auf unserem Fachgebiet repräsentieren, vorzustellen. Die einbezogenen LehrerInnen haben sich kritisch zu den jeweiligen Beiträgen geäussert und v.a. versucht deren Relevanz für ihre Praxis zu beurteilen. Wie jedoch unter anderen auch Wolff in seinem Beitrag bemerkt, ist es nicht leicht für den einzelnen Lehrenden, neue Ideen auch in die Praxis umzusetzen, v.a. wenn es an der Unterstützung der Institution mangelt. Wir sind dennoch optimistisch und hoffen, allen Innovationsschwierigkeiten zum Trotz, allen Lehrkräften nützliche Anregungen für eine kritisch-produktive Reflexion ihrer Praxis geben zu können.

Die Redaktion