Die Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen

Editorial

Wie sieht die konkrete Marginalisierung der Minderheitensprachen aus? Die schweizerische Aktualität bietet dazu zahlreiche Beispiele. Zwei davon sollen herausgegriffen werden, da sie das Problem auf unterschiedlichen Ebenen bestens illustrieren. Wer den eidgenössischen Geschicken ein bisschen Aufmerksamkeit schenkt, hat in den letzten Wochen einmal mehr die Klage gegen das Fehlen von VertreterInnen der Minderheiten sowohl in den politischen Entscheidungsgremien wie in den Kaderstellungen der Administration mitbekommen. Angesichts dieses düsteren Bildes sprechen die Kriterien für die kürzlich ausgeschriebene Neubesetzung des Vize-Bundeskanzlers Bände: u.a. wird nämlich die Beherrschung der deutschen und französischen und vorzugsweise auch der italienischen und englischen Sprache verlangt. Im Klartext: Italienisch wird als Nationalsprache auf das Niveau des Englischen degradiert, und dies bei der Besetzung einer der wichtigsten politisch-administrativen Funktionen des Landes, die zur Zeit vom pensionshalber ausscheidenden italienischsprachigen Achille Casanova ausgeübt wird.
Das zweite Beispiel hat mit dem v.a. in der Ost- und Zentralschweiz aufkommenden Widerstand gegen den Unterricht von zwei Fremdsprachen in der Grundschule zu tun. Ein Komitee „Nur eine Fremdsprache in der Primarschule“ hat sich gebildet, Initiativen und Unterschriftensammlungen werden lanciert: Wohl nicht zufällig in jenen Kantonen, die sich, angeführt durch den Kanton Zürich, der durch die EDK abgesegneten Priorität des Englischen in der Volksschule verschrieben haben. Im Klartext: Englisch wird auf dem deregulierten Fremdsprachenmarkt zu Lasten der Minderheitensprachen dominierend. Man weiss übrigens unterdessen, dass auch die Reihenfolge der erlernten Sprache kaum neutral ist. Es wäre nämlich illusorisch zu meinen, dass jene, die trendgetreu zuerst Englisch lernen, danach noch grosses Interesse für Minderheitensprachen übrig haben werden. Die deutsche Schweiz hat in den letzten Jahrzehnten, u.a. zur Wahrung ihrer sprachlichen Minderheitenidentität, der Mundart überall massiv den Vorzug gegeben, kommt aber jetzt, angesichts der sich zeigenden Folgen – PISA lässt grüssen – , in der Schule langsam davon ab. Es wäre wohl ein historisches Paradox, wenn man gleichzeitig zu einem Feldzug gegen die anderen nationalen Sprachen ansetzen würde. Dass es nicht so sein muss und darf, zeigt die durchwegs positive Aufnahme, welche in diesen Wochen der grossen laufenden Ausstellung zur Italienischen Sprache in Zürich entgegen gebracht wird (bis 29. Mai 2005): “La dolce lingua. L’italiano nella storia, nell’arte, nella musica”. Es handelt sich um eine einmalige Gelegenheit, der kulturellen Ausstrahlung des Italienischen als Minderheitensprache nördlich der Alpen den Weg zu ebnen und so einen Bewusstseinswandel zu fördern.

Die Redaktion