Die Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen

Editorial

Texten in ihren verschiedenen Formen kommt im L2-Unterricht eine immer grössere Bedeutung zu. Nachdem Babylonia diesem Thema bereits vor einigen Jahren eine Nummer (1/1997) gewidmet hat, wird es nun wieder aufgegriffen. Um Gewähr für eine kritische und differenzierte Betrachtung bieten zu können, lassen wir in der Regel solche Themen von mehreren Autoren aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Diesmal machen wir insofern eine Ausnahme, als hauptsächlich eine Autorengruppe zu Worte kommt, die auf eine langjährige Erfahrung im Rahmen eines umfassenden Reformprojektes des L2-Unterrichts in der italienischen Autonomen Provinz Bozen zurückblicken kann. Das Interesse für diese Reform ist insofern hoch, als, auf der Basis eines einheitlichen Konzepts, eine grundlegende Erneuerung des L2-Unterrichts im gesamten Schulsystem, also vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe II versucht wird. Sämtliche Lehrkräfte auf allen Schulstufen wurden mit dem methodologischen Ansatz der „skeptischen Hermeneutik“ von Hans Hunfeld vertraut gemacht und versuchen nun didaktisch die Arbeit mit Texten als systematische Basis für die Gestaltung der Lehr- und Lernprozesse einzuführen.
Oft lassen Reformprojekte die notwendige Kohärenz vermissen, sei es weil man nicht über genügende politische Durchschlagskraft zur gleichzeitigen Verwirklichung einer Reform auf allen Schulstufen verfügt, sei es weil man der methodologischen Freiheit und Vielfalt den Vorrang einräumt. Offensichtlich geht hier die Region Bozen einen neuenWeg. Es wird sich deshalb zeigen, ob man damit einen zeitgemässeren L2-Unterricht erreichen kann. Die Frage ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil gerade die in den letzten 20-30 Jahren generell durchgeführten Reformen des L2-Unterrichts wohl zu Recht wegen ihrer mangelnden Effizienz kritisiert werden. Als Paradebeispiele hierzu können die Reformen des Französischunterrichts in der deutschen und des Deutschunterrichts in der französischen Schweiz angeführt werden. Gerade dieses offensichtliche Manko an Wirksamkeit wird von den Befürwortern einer Redimensionierung des L2-Unterrichts in der Volkschule und einer entsprechenden Bevorzugung des Englischen als Argument verwendet. In der Tat wird sich das Ziel der Mehrsprachigkeit langfristig nur dann verwirklichen lassen, wenn der schulische L2-Unterricht überzeugend und nachhaltig erneuert werden kann. Dazu wird die Erfahrung in Bozen interessante Hinweise liefern können.
Die Thesen zum L2-Unterricht in der Primarschule, die wie publizieren weisen in die gleiche Richtung . Sie sollen als Argumentarium verstanden werden und zwar im Hinblick auf die sich abzeichnende Diskussion in einigen Deutschschweizer Kantonen, wo Initiativen gegen zwei Fremdsprachen in der Primarschule anstehen. Gerne würde Babylonia in den nächsten Nummern kritische Meinungen und Kommentare zu dieser Diskussion veröffentlichen.

Die Redaktion