Die Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen

Editorial

In den letzten Monaten sind wieder viele neue Lehrwerke auf dem Markt erschienen. Das sollte eigentlich Anlass zur Freude sein, da es uns immer mehr Auswahl bieten sollte. Sollte, denn bei näherer Betrachtung geht es gar nicht um eine grössere Auswahl, sondern um immer mehr vom Gleichen. Alle Lehrwerke basieren auf den Niveaustufen des Referenzrahmens oder Profile Deutsch und erwähnen stolz mit einem vermeintlichen Qualitätssiegel, welche Niveaustufe erreicht werden sollte. Die ideale Vorbereitung für die international anerkannten Zertifikate! So wird von Lehrwerken behauptet, sie führen zum Beispiel zu Niveau B1. Eine Differenzierung, wie sie im Spracherwerb fast immer stattfindet und wobei im Bereich der rezeptiven Fertigkeiten ein höheres Niveau erreicht wird als im Bereich der produktiven, kann man anscheinend nicht vermarkten. Man liest, wie toll man in Italien die externe Zertifizierung einführt und alle so die gleiche Prüfung machen. Wieso braucht man da noch ein Sprachenportfolio?
Der sogenannte backwash Effekt auf den Unterricht ist beelendend: Schülerinnen und Schüler werden auf die Prüfung vorbereitet. Wo sind die Ziele der Schule? Haben die jetzt auf einmal alle die gleichen Niveaustufen übernommen? So war der gemeinsame Referenzrahmen meines Erachtens nicht gemeint. Lernende sollten die Möglichkeit haben, sich bezüglich ihrer Sprachkompetenzen im Hinblick auf diese Referenzskala zu positionieren. Jetzt sollten sie alle, wie man es im alltäglichen Sprachgebrauch hören kann, eine A2 oder eine B1 sein.
Ist das die Globalisierung des Fremdsprachenunterrichts? Gibt es demnächst keinen Raum mehr für Kurse und Lehrwerke, die nicht unbedingt auf ein Niveau B2 abgestimmt sind, aber die Möglichkeiten der individuell Lernenden stärker mitberücksichtigen? Die der Tatsache Rechnung tragen, dass es in vielen schulischen Kontexten wohl möglich ist, ein hohes Niveau im Bereich Lesefertigkeit zu erreichen, dies aber in einer Klasse mit jugendlichen Lernern, die die gleiche Muttersprache haben, im Bereich der mündlichen Fertigkeiten fast unmöglich ist. Oder werden die Interpretationen der Niveaustufen den Forderungen des Marktes angepasst, z.B. weil B2 für Deutsch doch so viel schwieriger sei als für Englisch, womit dann die sprachenunabhängige Stufendefinierung ins Wanken geraten würde?
Der Referenzrahmen hat zweifelsohne viel Positives bewirkt, aber ob bei der Entwicklung diese Homogenisierung der Lehrwerke als eine mögliche Folge überlegt wurde? Übrigens scheint mir diese Entwicklung für Deutsch als Fremdsprache in viel stärkerem Masse der Fall zu sein als bei Englisch. Oder sind die Engländer nur etwas träger? An Profile English wird ja auch gearbeitet. Ob dies wirklich dazu beitragen wird, dass der Fremdsprachenunterricht lernergerechter wird?

Gé Stoks