Die Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen

Editorial

Neben den Kontroversen über Anzahl, Reihenfolge und Intensität der Fremdsprachen in der Schule weicht eine andere Auseinandersetzung in den Hintergrund: der Gebrauch der Standardsprache in den Schulen der Deutschschweiz. Seit diesem Schuljahr wird in den Kindergärten von Schlieren, einem Vorort von Zürich mit einer besonders multi-ethnischen Bevölkerung, vorwiegend Hochdeutsch verwendet. Nur für Geschichten, Lieder und Reime kommt die Mundart noch zum Zug. Bürgerliche Kreise reichten dagegen eine Petition ein. Ohne Erfolg, die mutige Schulpräsidentin gab nicht nach, und die meisten Kindergärtnerinnen stehen hinter dem Entscheid. Damit werden die Schwierigkeiten mit der Diglossie (Dialekt und Standard), die Kinder mit einer anderen Familiensprache haben, abgemildert, und die Schweizer Kinder können die aus den Medien erworbenen Hochdeutschkenntnisse hemmungsloser anwenden. In einer solchen Konstellation kann mit Recht von frühem institutionellem Spracherwerb durch Immersion gesprochen werden. Mit dem konsequenten Gebrauch des Standards als Verkehrssprache ist auch die Chance auf grössere Sprachbewusstheit verbunden.
Wie steht es aber um die Vorbildfunktion der Lehrpersonen? Kann ihr „Schweizerhochdeutsch“ denn als taugliches Modell für adäquaten mündlichen Sprachgebrauch im Alltag dienen? Wird im Deutschschweizer Unterricht nicht eine allzu schriftnahe Kultur des Sprechens gepflegt? Eine wenig beachtete Studie von Thomas Bachmann und Barbara Ospelt von der PH Zürich(1) geht dieser These nach. Die im Unterricht erhobenen Daten von gesprochenem Standarddeutsch wurden auf Spuren konzeptioneller Mündlichkeit untersucht, und es zeigte sich, dass die Lehrpersonen und Studierenden im Praktikum „eine durchaus der Mündlichkeit verpflichtete Hochdeutschpraxis pflegen“ und „sich an mündlichen Registern orientieren.“ Einzig die lautliche Realisierung von Mündlichkeit ist teilweise unterentwickelt. Die explorative Studie sagt’s im Titel: „Die Sprechpraxis von Studierenden und Lehrpersonen: entschieden besser als ihr Ruf!“
Wenn nun in der Schweiz die ersten Kindergarten- und Schuljahre reformiert und in einer Grund- oder Basisstufe zusammengefasst werden sollen, muss die Chance des frühen Standardspracherwerbs unbedingt genutzt werden: Globalisierung und Mediatisierung müssen nicht immer „English for all“ heissen, sondern tragen auch zu einem Zusammenrücken des grossen deutschen Sprachgebiets bei.
Mit einer konsequenten Politik und Praxis des Standardgebrauchs können wir aktiv dem Argument entgegen treten, der frühe Fremdsprachenunterricht beeinträchtige die Kompetenzen in Deutsch. Mitnichten, wenn die Fundamente so gelegt werden und die Kinder sprachstark aus der Grundschule hervorgehen.

(1) Standardsprachliche Praxis von Studierenden und Lehrpersonen im Unterricht (2004), zu beziehen bei forschung.entwicklung@remove-this.phzh.ch

Daniel Stotz