La Rivista per l'insegnamento e l'apprendimento delle lingue

Integrierte Sprachbildung L1 und L2: eine dringende Notwendigkeit

Ein Kommentar zum Beitrag von Peter Sieber

 

Gianni Ghisla
Comano

Die Veröffentlichung der Daten aus der PISA-Studie ist der unmittelbare Anlass für die Verfassung des Beitrags von Peter Sieber. Mit der Wahl des Titels weckt der Autor hohe Erwartungen. Spontan stellt man sich einen Diskurs vor, der die Fremdsprachen thematisiert – sie stehen an erster Stelle im Titel– und insbesondere auf die Bedeutung eingeht, welche der Erstsprache für die Aneignung der Fremdsprachen zukommt. Im Untertitel wird dieser Eindruck allerdings korrigiert und in der Tat diskutiert Sieber vor allem die Lage des Deutschen als Erstsprache in der deutschen Schweiz, die, nach Jahren der vermehrten Zuwendung zu den Fremdsprachen nun wieder grosse Aufmerksamkeit geniessen soll. Die Analyse des Deutschunterrichts sei zudem aus der Perspektive der Förderung der Erstsprache als Aspekt der Sprachförderung insgesamt vorzunehmen.
Nach einem historischen Exkursus zur pädagogisch-didaktischen Diskussion der letzten Jahre formuliert der Autor einige Vorschläge zur Verbesserung des Deutschunterrichts:

  • Sprachförderung müsse die vielfältigen medialen Erfahrungen der Jugendlichen einbeziehen und den unproblematisch gewordenen Umgang mit Normen und Leistungsanforderungen berücksichtigen.
  • Die Verantwortung für den Sprachunterricht müsse von allen Lehrkräften wahrgenommen werden, um u.a. die Sprachkultur insgesamt verbessern zu können.
  • Die Leistungsbeurteilung müsse verbessert werden, etwa anhand von Standards wie sie im Sprachenportfolio vorgegeben werden.
  • Die Pädagogischen Hochschulen müssen grosse Anstrengungen im Bereich der Forschung unternehmen und Kompetenzzentren bilden, die eine bessere Auswirkung auf die Praxis versprechen.

Es ist kaum denkbar, mit Peter Sieber bei diesen Postulaten uneins zu sein. Aber seine Reflexion und seine Vorschläge fallen mehr durch das Nichtgesagte als durch seine Aussagen zu einigen wichtigen Problemen auf. Denn, nachdem das Prinzip statuiert worden ist, dass eine gute Kompetenz in der Erstsprache sowohl fürs Leben im Allgemeinen, als auch für die Aneignung der Fremdsprachen im Besonderen wichtig ist, ginge es darum, die Beziehung zwischen L1 und L2 unter die Lupe zu nehmen. Und zwar mindestens aus einer doppelten Perspektive: Einerseits vom pädagogisch-didaktischen Standpunkt unter Berücksichtigung der für jeglichen Spracherwerb besonders wichtigen kognitiven Voraussetzungen und andererseits aus der institutionellen und curricularen Sicht, wobei die Rolle der Lehrkräfte mitzudenken wäre.
Eine Verbesserung des Unterrichts in der Erstsprache, als wichtigstes Lernmedium, ist schwer vorstellbar, wenn sie erstens nicht vor dem Hintergrund der Probleme erfolgt, die sämtliche Fächer beschäftigen, und w.a. wenn sie zweitens nicht im Einklang mit den Fremdsprachen erfolgt, mit denen sie einen guten Teil der Inhalte und Ziele teilt. Es geht also um eine gemeinsame didaktische Perspektive von L1 und L2 und dabei um die Diskussion von mindestens drei wichtigen Aspekten:

  • Erstens, die Beziehung zwischen L1 und L2 muss an unseren Schulen von Grund auf erdacht und gestaltet werden, denn in der heutigen Wirklichkeit ist sie praktisch inexistent, obwohl man seit Jahren davon redet. In der alltäglichen Praxis gehen die L1-Lehrkräfte ihrer Arbeit nach, ohne sich um die L2 zu kümmern und umgekehrt. Distanz und gar Misstrauen haben gegenüber der gemeinsamen Suche nach Lösungen und gemeinsamer Erfahrungen die Oberhand. Es ist mitunter wesentlich eine Frage der Mentalität und des beruflichen Selbstverständnisses: Die gegenseitigen Repräsentationen folgen eher Gemeinplätzen und Klischees, so z.B. der Vorstellung, wonach sich die L2 negativ auf das Erlernen der L1 auswirken, sei es weil sie im Lehrplan zuviel Platz beanspruchen, sei es weil sie die Lernenden kognitiv überfordern würden. Auf der Ebene der Lehrpläne sind aber immerhin erste Integrationsversuche zu beobachten.
  • Zweitens, die Schule charakterisiert sich heute u.a. durch das beinahe uferlose Anschwellen der Anforderungen, etwa in Form einer allgemeinen inhaltlichen Überlastung und durch die Zunahme der sprachlichen und kulturellen Heterogenität der Lernenden. Es handelt sich um Probleme, die direkt und indirekt auf die Aneignung von guten Sprachkompetenzen in der L1 einwirken. Die Lehrkräfte bekommen dies immer mehr zu spüren, so etwa in den beinahe alltäglichen Situationen, wo sie viele Lernende in einer Erstsprache unterrichten müssen, die eben keine ist. In der deutschen Schweiz ist diese Problematik durch die Diglossie noch etwas komplizierter.
  • Drittens, wissen wir, dass neben der gemeinsamen Arbeit an einer Sprache, doch auch wichtige Unterschiede die didaktische Arbeit in L1 und L2 prägen. Und dennoch: Die Konvergenz- und Synergiepotentiale sind riesig und man müsste mit deren Ausschöpfung beginnen. Dies gilt sowohl für die Inhalte (deklaratives Wissen) als auch und vor allem für die Strategien (prozedurales Wissen): Die Modalitäten des Textverständnisses sind z.B. im wesentlichen gleich für die L1 und für die L2 und deshalb könnte die Entwicklung von guten Lesekompetenzen – der Hinweis auf PISA drängt sich auf – von einer gemeinsamen Arbeit stark profitieren.

Wenn diese drei Aspekte – Konstruktion eines Verhältnisses L1-L2 im Schulalltag, Überlastung von Schule und Lehrkräfte, grosses Synergie- und Konvergenzpotenzial zwischen L1 und L2 – einen Sinn machen, dann sollte man die Perspektive einer gemeinsamen Sprachbildung endlich fördern. Aus isolierten Unterrichtsweisen sollen möglichst konvergierende Unterrichstpraktiken entwickelt werden, damit eine rationale Ausnützung der wenigen Ressourcen ermöglicht werden kann. Dazu ist eine gemeinsame Definition der Lernziele und der angestrebten Kompetenzen zu leisten, wobei diesbezüglich mit dem Portfolio eine interessante und wertvolle Basis bereits vorhanden ist. Es geht aber auch darum, gemeinsame didaktische Ansätze zu erarbeiten, so z.B. zu den verschiedenen Strategien im Bereich des Lesens (Textverständnis und –interpretation), des Schreibens, des mündlichen Ausdrucks, usw.
Damit könnte man nicht nur einen Beitrag zur Reduktion des Drucks leisten, der auf der Schule lastet, sondern auch für die Lehrkräfte neue Instrumente schaffen, damit sie die zunehmend komplexer werdenden sprachlichen und kulturellen Situationen meistern können. Peter Sieber hebt zurecht die Rolle der Fachhochschulen für die Ausbildung der Lehrkräfte und für eine adäquate Forschungsarbeit hervor. Es ginge aber auch darum, bei der Förderung der Synergien zwischen L1 und L2 etwas mehr Mut und Überzeugung zu zeigen. So ist nicht einfach ein Aktionsprogramm zur Förderung der L1 dringend, sondern vielmehr ein Konzept zu einer integrierten Sprachbildung in L1 und L2 (man siehe dazu Babylonia 3/95). Sonst wird man, vor allem in Lehrerkreisen, noch lange beim üblichen Misstrauen gegenüber den Fremdsprachen verharren und auch bei den durch PISA einmal mehr aufgegriffenen Problemen keine Fortschritte erzielen.