La Rivista per l'insegnamento e l'apprendimento delle lingue

Hygiene, HSK und Herbart

Eine freche Fremdwahrnehmung von PISA und dem ‘Ausländerproblem’ in der Schweiz

Alderik Visser
Bern

In the discussions around ‘PISA’ and its disappointing outcomes, many Swiss analysts tend to blame the victims. Then whereas it might be true that Switzerland harbours quite some migrant children, they can not be held responsable for the dysfunctional traits of the Swiss school system as such. Earnest attempts to integrate these and other groups by means of education, so this article will hold, ought not be contented with culturalist or even relativist modes of thought and action. So politically correct it might seem to plea for education in a mother tongue, only a strict wielding of the Swiss national languages as instructional languages will do to empower migrant and other marginal groups to participate in this society.

Im Jahr 1880 veranlasste der Schulverein des Seelandes in Zusammenarbeit mit der medizinisch-chirurgischen Gesellschaft des Kantons Bern eine Untersuchung nach den hygienischen Umständen in den Primarschulen der Stadt und auf dem Lande. Aus der entsprechenden Befragung des Lehrpersonals, etwa nach den Räumlichkeiten der Erziehungsanstalten, ihrer Heizung und Durchlüftung, der Lage der Latrinen wie auch der Möglichkeit der Schülerinnen und Schüler, sich auch mal frei zu bewegen, ergaben sich richtig erschütternde Resultate: Mehr als die Hälfte aller Schulklassen im Kanton waren überfüllt, und nicht mal ein Drittel aller Primarschulen entsprachen den Vorgaben der einflussreichen zeitgenössischen Hygienikern.1 Dementsprechend sensibilisiert, beriefen die dafür zuständigen Polizeibehörden 1883 nicht weniger als vier Kommissionen ein, die die Missstände in den Schulhäusern weiter untersuchen und womöglich Strategien zu deren Aufhebung entwickeln sollten. Weitere sechs Jahre brauchten diese Gremien aus Expertinnen und vor allem Experten um ihre Schlüsse aus den Daten zu ziehen: Schulen sollten doch vor allem mehr Geld bekommen, damit sie ihren Zöglingen mehr Luft, mehr Licht, bessere Klos und vor allem besseren, didaktisch gut aufbereiteten Unterricht bieten könnten.2
Die bei weitem interessantesten Schlussfolgerungen, welche aus dem Schmutz der Berner Schulen gezogen wurden sind pädagogischer Natur: Um der ‘geistigen Hygiene’ der Kinder Willen, sollten die Schulen vorerst die Anforderungen an ihre Schülerinnen und Schüler senken, die Gefahr der Überbürdung also entschieden bekämpfen, die Schriftsprache als Unterrichtssprache zielgerichtet fördern und dazu den gesammten Unterricht nach den Grundsätzen der Herbart-Zillerschen Pädagogik zu ‘Concentrieren’ suchen.3
Die Geschichte wiederholt sich nicht und erteilt uns entsprechend auch keine Lektionen. Ein sensibilisierter Zeitgenosse hätte eine gewisse Parallele mit der heutigen Zeit trotzdem erkennen können: Sowie einst eine beunruhigende kantonale Untersuchung den Berner Schulbehörden intensiv zu schaffen gegeben hat, so hat jetzt eine internationale Datenerhebung die Gemüter in der ganzen Schweiz ziemlich aufgeheizt. Und wie eine blosse Statistik mal imstande war, Schulgesetzgebung und Bildungsbudget in Bern massgeblich zu beeinflussen, droht jetzt ein internationaler Schulleistungsvergleich sogar die ganze Bildungslandschaft der Schweiz überkantonal auf die gleiche Bahn zu gleisen. Leistung und Hygiene sind in der Schweiz schon mal zusammen gedacht worden, und dies zwar folgenschwer; zwischen der Umfrage von 1880 und PISA besteht – nochmals – keine einzige Verbindung. Erstaunlicherweise wurden und werden aus diesen beiden Untersuchungen de facto aber die genau gleichen Schussfolgerungen gezogen. [...]

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