Die Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen

Editorial

Unsere Epoche wird von der Logik der ökonomischen Rationalität und des freien Marktes dominiert. Hochkonjunktur hat deshalb alles, was sich dem Gedanken der unmittelbaren Rentabilität, der Leistungs- und Kosteneffizienz verpflichten kann, am besten natürlich, wenn es dem Individuellen den Vorrang gegenüber dem Gemeinschaftlichen gibt. Es kann deshalb nicht wundern, wenn die Kultur, und damit auch die Sprachen, nicht wesentlicher Bestandteil des Zeitgeistes sind. Dies zur Kenntnis zu nehmen, ist ein Akt der schlichten Nüchternheit und des notwendigen Realismus, der für das Verständnis von ziemlich auffallenden aktuellen Ereignissen behilflich sein kann. So z.B. der Entscheid des Bundesrats, dessen Mehrheit sich im Frühling für den Verzicht auf das für die Umsetzung des Verfassungsauftrags notwendige Sprachen- und Verständigungsgesetz ausgesprochen hat. Oder auch, um verstehen zu können, warum für die Basis einer – auch kulturell – traditionsreichen Partei wie die Freisinnig Demokratische Partei (FDP), die Kultur zur Zeit schlicht irrelevant ist, wenn es darum geht, die Weichen für die Politik der Zukunft zu stellen. So taucht der Begriff Kultur in den aus einer Basisbefragung hervorgegangen und dieser Tage bekannt gewordenen 21 wichtigsten Projekten (Unter dem Titel: “Avenir radical”) weder nominell noch substantiell auf.
Ein verbrieftes Recht auf Kultur existiert nicht und würde vermutlich auch wenig sinnvoll sein, denn Kultur ergibt sich aus der jeweiligen gesellschaftlichen Dynamik und kann, dort wo Freiheit herrscht, ähnlich wie sprachliches Verhalten nicht verordnet werden. Unsere Bundesverfassung beauftragt aber den Bund immerhin mit der Förderung der kulturellen Vielfalt und des gegenseitigen Verständnisses in unserem Lande. Diese Aufgabe soll der Bund auch mit den notwendigen Instrumenten wahrnehmen können und dazu gehört sicherlich ein Sprachen- und Verständigungsgesetz. Das Parlament scheint diese Einsicht zu teilen und es ist zu hoffen, dass es ihm auch gelingen wird, dieses politische Lenkungsinstrument möglichst bald durchzusetzen.
Zu den Lenkungsinstrumenten gehört auch das “Europäische Sprachenportfolio”, das Hauptthema dieser Nummer. Zwar entspringt das Portfolio auch einer eher marktorientierten Logik, zumal es als individuelles Instrument zur besseren Dokumentation der erworbenen Kompetenzen gedacht ist und somit den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt aber, dass sich auch ein an sich marktgerechtes Instrument wie das Portfolio ohne bildungspolitische Flankierungsmassnahmen nicht etablieren kann. Dies wäre aber durchaus wünschenswert, zumal das Sprachenportfolio in kultureller Hinsicht über ein günstiges Potential verfügt: Es kann der Vielfalt der Sprachen zu einer besseren Sichtbarkeit und damit auch zu höherer Anerkennung verhelfen.

Die Redaktion